Dienstag, 13. Dezember 2011

elf minuten

Es war einmal ein Vogel. Er besaß ein Paar vollkommener Flügel und glänzende, bunte wunderbare Federn und war dazu geschaffen, frei am Himmel zu fliegen, denen zur Freude, die ihn sahen.
Eines Tages sah eine Frau diesen Vogel und verliebte sich in ihn. Sie schaute mit vor Staunen offenem Mund seinem Flug zu, ihr Herz schlug schneller, ihre Augen leuchteten vor Aufregung. Er bat sie, ihn zu begleiten und beide schwebten in vollkommener Harmonie am Himmel. Und sie bewunderte, verehrte, feierte den Vogel.
Aber dann dachte sie: Vielleicht möchte er ferne Gebirge kennenlernen? Und die Frau bekam Angst. Fürchtete, dass sie so etwas mit einem anderen Vogel nie wieder erleben könnten. Und sie wurde neidisch auf den Vogel, der aus eigener Kraft fliegen konnte.
Und sie fühlte sich allein.
Und dachte: Ich werde dem Vogel eine Falle stellen. Wenn er zurückkommt, wird er nie wieder wegfliegen können.
Der Vogel, der auch verliebt war, kam am nächsten Tag zurück, ging in die Falle und wurde in einen Käfig gesteckt.
Die Frau schaute täglich nach dem Vogel. Er war ihre ganze Leidenschaft, und sie zeigte ihn ihren Freundinnen, die meinten: Du hast vielleicht Glück.
Dennoch vollzog sich eine merkwürdige Veränderung: Seit sie den Vogel besaß und ihn nicht mehr erobern brauchte, begann sie das Interesse an ihm zu verlieren. Der Vogel, der nicht mehr fliegen konnte, was den Sinn seines Lebens ausmachte, wurde schwach, glanzlos, hässlich. Die Frau beachtete ihn nicht mehr, fütterte ihn nur noch und reinigte seinen Käfig.
Eines Tages starb der Vogel. Die Frau war tieftraurig und konnte ihn nicht vergessen. Aber sie erinnerte sich dabei nicht an den Käfig, nur an den Tag, an dem sie den Vogel zum ersten Mal gesehen hatte, wie er fröhlich zwischen den Wolken dahinflog.
Hätte sie genauer in sich hineingeschaut, so hätte sie bemerkt, dass das, was sie am Vogel so sehr begeisterte, seine Freiheit war, sein kräftiger Flügelschlag, nicht sein Körper.
Ohne den Vogel verlor auch für die Frau das Leben seinen Sinn und der Tod klopfte an ihre Tür.
Wozu bist du gekommen?fragte sie den Tod.
Damit du wieder mit dem Vogel zusammen am Himmel fliegen kannst, gab der Tod zur Antwort.
Wenn du ihn hättest fliegen und immer wiederkommen lassen, hättest du ihn geliebt und noch mehr bewundert; aber nun brauchst du mich, um ihn wiederzusehen.

Sonntag, 11. Dezember 2011

polaroid

am ufer liegt ein alter stein
bedeckt von feuchtem, weichem moos
direkt hinter dem wald, allein
sitz ich auf dieses steines schoß

durch geäst und zweige rauscht
ein windstoßhauch der nacht
dem mondklang meiner geige lauscht
der bach, vom traum erwacht

weicher mondklang. am quell des baches, sitzend auf dem alten stein, bruchstücke eines menschen. die sehnsucht, grund der zersplitterung. refelktion. mein spiegelbild ein trüber stummer abglanz im wasser, ein polaroid ohne licht, ohne luft. unscharf. farblos. verschwommen, taumelt leblos im bache, zieht dann, begleitet von nächtlichen schattierungen, in richtung irgendwo. noch treibt es ruhig, doch dort, wo die wälder enden, die ufer sich breiten, wird aus dem bach ein fluss und mein bild immer verzerrter. bewegung. meine hände noch immer im wasser. verfolge mein bild im traum. vogelperspektive. mein bild plätschert dahin, vorbei durch weite täler und nach einigen stunden zieht es vorbei unter einer brücke. ein junge winkt ihm zu, lächelnd, und wirft einen stein nach ihm ... verfehlt. konturen erhalten. nach vielen stunden, weiten strecken, hunderten kilometern, wieder mondklang. dort, wo der fluss, seine schlangenform verliert und sich in die weiten des ozeans schmiegt, hier an der mündung, auf einem alten stein, sitzt du. deine hände im wasser, mein bild gleitet in deine arme, wird klarer, wird zu kaleidoskopischem. ein farbspiel. umrisse verschärfen sich. an beiden enden des flusses, von weiten meilen getrennt, verbunden nur durch kaltes wasser, spüren nun zwei menschen ihre berührungen, hören ihre stummen stimmen und verlieren ihr gefühl für distanz.