Mittwoch, 12. Januar 2011

stadtrandnotizen.

Ich möchte ihnen eine Geschichte erzählen…eine Geschichte von zwei Menschen, die sich auf wundersame Art begegnet sind, ohne sich jemals gesehen zu haben.
Zirka vierundzwanzig zuckende Zeigerschläge auf Zahlen des zyklischen Ziffernblattes der Zimmeruhr im Zeitraffer. Randnotizen. Zimtstaubzeichnungen auf Zuckerpapier. Du skizzierst Zweizeiler. Wie Zement, zentnerschwer. Zwei zaghafte zögernde Züge an der Zigarette. Zwischen zitternde Zeilen zaudernder Zauber.
Herr Z. skizzierte neben zartrosa Zinnfiguren einen azurblauen zwitschernden Zugvogel.
Und der flog plötzlich los…

Zugvogelluftpirouetten. Er sah Konturen am Himmel, die langsam verschwanden. Sie zerflossen in einer warm-wonnigen Wattewolkennichtigkeit. Zugvogelflügelschlag. Kaum hörbar, ganz leise…
[und wir schreiben Stadtrandnotizen in Schneekugelwelten. Unter Glaskristalldächern im Schneegestöber schmieren wir Schlieren und Schriftzeichenspuren mit Stiefelsohlen in schwarzweißen Froststaubpulverschnee. Und dann kommen diese Kinderhände, nehmen die Schneekugelwelt und schütteln…und die Spuren sind wieder fort]

Diese Stadtrandnotizen, Wörter und Zeilen in ihrer Nichtigkeit, sie verschwinden wie Sandgemälde im Wellensaum. Plötzlich ist alles fort.
Und trotzdem schreiben wir, schreiben und schreiben…
Kritzeln kursive Serifen auf staubige Schiefertafeln oder zeichnen mit unseren Fingerspitzen in blaugraues Tauwasser. Schmieren Schlieren auf schimmernde Scheiben. Flimmernden Seiten enden in rostroten Regenrinnen als Origamipapiergebilde.
Naja…jedenfalls war da nun dieser Zugvogel, dieses Wort. Und es flog über die Dächer der Stadt. Und da war nun dieser weitere Herr.
Am Stadtrand, auf einer Parkbank, dort am Feldweg, saß der einfarbige Lautmaler. Er lauschte dem Klang der Zugvögel. Herr O. war Vogelforscher und Phonologe.
Der monochrome onomatopoetische Ornithologe lauschte dem sonoren Ton, den monotonen trostlosen Monologen und Strophen der Mondboten, dort oben.

Zugvogelluftpirouetten. Taumelnder Tanz in transzendentaler Obdachlosigkeit. Er saß dort und zeichnete auf seinen Zettel verzerrte Skizzen von zeitverzögerten Zugvögeln.

Der Vogelforscher transkribierte die Laute der Vögel in Notensysteme, schrieb die Partituren des Zugvogelorchesters in Stromkabellinien.
Stadtrandnotizen in Stadtrandgebieten. Aber von wegen Nichtigkeit…

Und jetzt denken sie nochmal an Herrn Z. vom Anfang.
Denken sie mal an Herrn Z. Er liebt diesen Buchstaben. Diesen einsamen Buchstaben am Rande des Alphabets. „Wer braucht schon das Z?“, sagte mal jemand. Und Herr Z. dachte sich: „Wenn der wüsste?“ Der hat wohl noch nie Zimtstaub gesehen? Oder hier im flackernden Licht…diese zitternden Zeilen. Diesen zaudernden Zauber. Das schönste Wort auf der Welt ist „Zaudern.“ Es macht auf dem Blatt nicht viel her, aber gesprochen ist es die Welt. „Zaudern.“

Und Herr Z. wünschte sich, dass ein anderer Mensch mal dasselbe Glück empfinden könnte, wenn er dieses Wort sieht. Und so kam es, dass er eines Tages das Wort in schönen Lettern mit dem Bleistift in Schreibstift auf eine perforierte Postkarte schrieb. Und diese Postkarte steckte er dann in ein altes Buch. „Zugvögel“ Und dann entschloss er sich das Buch zu verstecken. Und wählte als Ort dafür diese schöne dunkelgrüne Holzbank am Feldweg, dort bei den Windmühlen.
Der monochrome onomatopoetische Ornithologe lauschte dem sonoren Ton, den monotonen trostlosen Monologen und Strophen der Mondboten, dort oben.


Plötzlich fand der Lautmaler unter der Parkbank ein Buch und er hob es auf und fand darin eine Postkarte. Auf ihr ein Wort: Er las laut…“Zaudern.“ Er lächelte.

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